Wer die Tage zu Fuß oder mit dem Auto aus Richtung Autobahn nach Wallau kommt dürfte staunen: Eine rund zwei Meter hohe Kunststele mit einem eindrucksvollen Schwarz-weiß-Porträt ist aufgestellt worden. Die abgebildete Frau? Hanna Bekker vom Rath, eine der wichtigsten Künstlerinnen der Region.
Die Installation ist Teil eines stadtweiten Projekts: Insgesamt sieben dieser Stelen tauchen in allen Hofheimer Stadtteilen und in der Kernstadt auf. Sie sollen für etwa ein Jahr daran erinnern, wie eng Hofheim mit dem Leben und Wirken Bekkers verbunden ist.
Und warum gerade dieses Bild? Es zeigt Bekker im sogenannten Pfauenthron, fotografiert 1968 von Helga von Brauchitsch. Ein Motiv, das Hofheimerinnen und Hofheimern vielleicht schon von alten Postkarten oder dem Weinetikett des „Diedenbergener Sonnenhangs“ ein Begriff ist.
Finanziert wurde die Aktion vom Förderkreis des Stadtmuseums, der Taunus-Sparkasse und der Stadt Hofheim. Die wetterfesten Stelen stehen an markanten Orten, in Wallau also ebenfalls gut sichtbar und mitten im Alltag platziert.
Die Kunst kommt in den Ort
Lokale Frage, die man sich stellen darf: Wird Kunst so tatsächlich greifbarer, wenn sie einfach im Ort auftaucht? Oder läuft man am Ende daran vorbei, ohne hinzuschauen? Die kommenden Monate werden zeigen, ob die neugierigen Blicke überwiegen. Einen Versuch ist es jedenfalls wert.
Hintergründe
Zur historischen Einordnung: Hanna Bekker vom Rath wurde 1893 in Frankfurt geboren, lebte ab 1920 im später berühmten „Blauen Haus“ in Hofheim und galt als unermüdliche Unterstützerin verfemter Künstlerinnen und Künstler während der NS-Zeit. Sie organisierte heimliche Ausstellungen und verwandelte ihr Haus in einen Ort künstlerischen Schutzes und Austauschs.

Die Geschichte des Pfauenstuhls hat ihren Anfang im 19. Jahrhundert in Südostasien, speziell auf den Philippinen. Seine außerordentliche Beliebtheit wurde ab den 1950er-Jahren weltweit geteilt. Vom heute noch beliebten Möbelstück wurde er zur Designikone und ist auf zahlreichen berühmten Fotografien abgebildet, angefangen bei Aufnahmen von Marilyn Monroe, John F. Kennedy oder Elizabeth Taylor. In der Hippiebewegung symbolisierte der Stuhl Freiheit, Natürlichkeit und Selbstinszenierung und war dann auf das engste mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA verbunden. So gehört das Bild von Huey P. Newton im Pfauenstuhl, einem der Gründer der Black Panther Party, zu den ikonischen Bildern der Black Power Movement. Der Pfauenstuhl ist bis heute ein immer wieder neu interpretiertes Möbelstück der Designgeschichte.
Kunst in der Gegenwart
Ein kleiner Ausflug zur Gegenwart: Das Gemälde Ophelia von Friedrich Wilhelm Theodor Heyser im Museum Wiesbaden wurde kürzlich zur internationalen Sensation. Anlass: Der Pop-Star Taylor Swift zitierte im Musikvideo zu „The Fate of Ophelia“ das Motiv dieses Gemäldes – und prompt kam es zum Besucheransturm im Museum.
Augenzwinkernd könnte man fragen: Wenn ein 120 Jahre altes Bild durch einen Pophit plötzlich „viral“ geht – könnte dann eine Stele mit Hanna Bekker vom Rath in Hofheim, an markanter Stelle in Wallau, nicht ebenfalls ein kleines Kunst-Ereignis im Vorbeigehen werden?
Wallau bekommt mit der Stele nicht nur Kunst im öffentlichen Raum, sondern auch eine Portion Kulturgeschichte frei Haus geliefert. Jetzt liegt es an uns, hinzuschauen. psn