Die drei Essays in „Tage des Lesens“ offenbaren prägende Lektüreerfahrungen von Marcel Proust. William Boyle schreibt in seinem Kriminalroman „Shoot The Moonlight Out“ darüber, wie schlechte Menschen gute Dinge und gute Menschen schlechte Dinge tun. In „Aristoteles – Die Graphic Novel“ wird graue Theorie lebendig erzählt.
„Tage des Lesens“
„Es gibt vielleicht keine Tage unserer Kindheit, die wir so voll erlebt haben wie jene, die wir glaubten verstreichen zu lassen, ohne sie zu erleben, jene nämlich, die wir mit einem Lieblingsbuch verbracht haben.“ Unter dem Titel „Sur la lecture“ erstmals 1905 in La Renaissance Latine erschienen und als Vorwort für eine Ruskin Übersetzung von Marcel Proust entstanden, beginnt so der erste der drei hier versammelten Essays über die Faszination des Lesens. Und schon jenen ersten Satz meint man in der Abwägung verschwendeter und erfüllter Lebenszeit als Keimzelle für die große „Suche nach der verlorenen Zeit“ zu erkennen. Proust erinnert sich an Tage des Lesens im Kindheitsparadies Illiers, in denen die Lektürezeit meist mit häuslichen Notwendigkeiten konkurrieren muss, und weitet seinen Aufsatz zu einem Nachdenken über die Frage, ob und wie aus dem Umgang mit Literatur Literatur entsteht, ob und wie der Kritiker zum Dichter werden kann.
Die zwei darauffolgenden Essays, beide in der Nouvelle Revue Française erschienen, besprechen die Werke zweier großer französischer Dichter. „Über den ›Stil‹ Flauberts“ (1920) ist zunächst eine scharfsinnige Analyse der stilistischen Eigenheiten und der „grammatischen Schönheit“ Flauberts und entspinnt sich zu einer spitzen Kritik an der Literaturkritik selbst. „Über Baudelaire“ (1921) bietet einen ebenso pointierten wie umfassenden Überblick über die französische Lyrik. Der Essay beleuchtet die Thematik der Homosexualität in Baudelaires „Blumen des Bösen“ – gewiss auch im Hinblick auf die bevorstehende Publikation von Prousts „Sodom und Gomorrha“.
Alle drei Essays dieses Bandes offenbaren prägende Lektüreerfahrungen von Marcel Proust, und wie er das Geheimnis des Lesens, „dieses fruchtbaren Wunders einer Kommunikation im Herzen der Einsamkeit“, zu entschlüsseln sucht.
Marcel Proust wurde am 10. Juli 1871 in Auteuil geboren und starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist zu einem Mythos der Moderne geworden.
Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem – nur vermeintlich müßigen – Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. „In Swanns Welt“, der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band, „Im Schatten junger Mädchenblüte“, wurde Proust 1919 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der „Suche nach der verlorenen Zeit“ wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.
Marcel Proust: „Tage des Lesens“
Übersetzt von Helmut Scheffel
Suhrkamp Taschenbuch, 2023. 132 Seiten, 14 Euro.
„Shoot The Moonlight Out“
Die Geschichte beginnt im Juli 1996 im Süden Brooklyns und reicht bis in den Sommer 2001. Kurz vor den Anschlägen vom 11. September, nachdem sich das Leben in New York für alle änderte. Der vierzehnjährige Bobby Santovasco wirft mit seinem Freund Zeke zum Zeitvertreib gerne Steine von einer Brücke auf Autos.
Was als Wette beginnt, ob sie durch das offene Fenster den Fahrer treffen, führt zum Tod der 19-jährigen Amelia Cornacchia. Den Steinewerfern gelingt die Flucht und ihre Tat bleibt ungesühnt. Jack Cornacchia, Witwer, Vater der toten Amelia, übt gerne Selbstjustiz und lässt sich von anderen dafür bezahlen. Im Fall seiner Tochter ist er jedoch machtlos.
Jahre später kreuzen sich die Wege zwischen Bobby und Jack wegen einer gestohlenen Tasche voller Geld und Drogen erneut. Jack Cornacchia ist inzwischen ein gebrochener Mann, der an einem Schreibkurs im Keller der St.-Mary-Kirche teilnimmt. Während Bobby Santovasco davon träumt, den großen Coup zu landen und aus Brooklyn abzuhauen.
William Boyle ist in der Nachbarschaft von Gravesend in Brooklyn aufgewachsen. Er ist der Autor von „Death Don’t Have No Mercy“. Er lebt zurzeit in Oxford, MS.
William Boyle: „Shoot The Moonlight Out“
Übersetzt von Andrea Stumpf
Polar Verlag, 2023. 352 Seiten, 26 Euro.
„Aristoteles – Die Graphic Novel“
Flucht aus politischen Gründen, Lehrer von Alexander dem Großen, Schüler von Platon. Als Begründer verschiedener Wissenschaften und als einer der wichtigsten Philosophen überhaupt ist er zwar fast jedem ein Begriff. Doch wie Aristoteles als Mensch war, wie er gelebt hat und wie er seine Philosophie gelehrt hat, das zeigt vor allem diese Graphic Novel auf außergewöhnliche Weise.
Sie verbindet Aristoteles Leben mit der Geschichte und Politik seinerzeit. Das vierte Jahrhundert vor Christi wird damit lebendig und erfahrbar. Die Philosophie von Aristoteles wird durch den Comic sehr verständlich dargestellt. Die Kombination von Humor und Wissensvermittlung sorgt dabei für ein besonderes Lesevergnügen.
Tassos Apostolidis & Alecos Papadatos: „Aristoteles – Die Graphic Novel“
Übersetzt von Harald Sachse
Carlsen Comics, 2023. 220 Seiten, 26 Euro.