Geovani Martins erzählt in seinem Debütroman „Via Ápia“ von Freundschaft und Frustration, von den Träumen und Albträumen junger Männer und von den absurden Auswirkungen des Kampfes gegen die Drogen. In „The Do-Over“ von Sharon M. Peterson sucht sie nach ihrer Geschichte, er läuft vor seiner davon. Giovanni di Lorenzos Interviews mit verschiedenen prominenten Zeitgenossen sind jetzt in dem Band „Vom Leben und anderen Zumutungen“ zusammengefasst.
„Via Ápia“
Auf der einen Straßenseite leben Douglas, Murilo und Biel in ihrem kleinen Apartment. Auf der anderen erstreckt sich Rio de Janeiros gigantische Rocinha-Favela, dort wohnen die Brüder Wesley und Washington. Die Via Ápia markiert eine Grenze, doch gemeinsame Interessen verbinden die fünf jungen Männer: Fußball, Videospiele, Drogen. Schwankend zwischen Arbeitslosigkeit, stupiden Jobs, der strapaziösen Suche nach dem nächsten Joint und tosenden Funkpartys, versuchen die Anfang Zwanzigjährigen gerade, sich irgendwie ins Erwachsenenleben zu kämpfen – als eine Militärpolizeieinheit die Favela besetzt. Doch während nun rund um die Via Ápia die Schüsse hageln, wollen die, die sie ihre Heimat nennen, das pulsierende Leben der Favela nicht aufgeben.
Der Staat kennt nur eine Antwort auf die Probleme Brasiliens – und dieser Roman stemmt sich mit seiner Vielfalt kraftvoller, einzigartiger Stimmen dagegen. Geovani Martins erzählt von Freundschaft und Frustration, von den Träumen und Albträumen junger Männer und von den absurden Auswirkungen des Kampfes gegen die Drogen.
Geovani Martins, 1991 in Rio de Janeiro geboren, hat vier Jahre lang die Schule besucht und danach als Plakatträger und Kellner in einem Standzelt für Kinder gearbeitet. „Aus dem Schatten“ war sein Debüt: in Brasilien ist es eingeschlagen wie eine Bombe, Martins wird dort – wie inzwischen auch international – als die Stimme eines Neuen Realismus gefeiert. „Via Ápia“, das lang erwartete Romandebüt, stand monatelang auf der Bestsellerliste und ist von den Medien und der Politik Brasiliens kontrovers diskutiert worden.
Geovani Martins: „Via Ápia“
Übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner
Suhrkamp, 2023. 333 Seiten, 25 Euro.
„The Do-Over“
Perci hat es nicht leicht: Erst wird sie von ihrem Ex auf die denkbar demütigendste Weise abserviert (Zu Silvester! Live im Radio!), dann mischt sich ihre übergriffige Mutter in ihr Liebesleben ein. Um sie sich vom Leibe zu halten, erfindet Perci einen Fake-Boyfriend und nennt dummerweise den Namen ihres Nachbarn. Ihres sehr, sehr heißen Nachbarn. Der keine Ahnung hat, dass er Perci angeblich datet.
Sharon M. Peterson war mutig genug, als Lehrerin zu arbeiten, bevor sie zu schreiben begann. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern, darunter zwei autistische Söhne, in Washington, hat eine Katze, zwei Hunde, ein Tattoo und irrational große Angst vor Pudeln. Meist findet man sie über ihre Tastatur gebeugt, auf der Suche nach Geschichten und Figuren, die noch in den übelsten Situationen des Lebens das Komische zu finden wissen.
Sharon M. Peterson: „The Do-Over“
Übersetzt von Katharina Naumann
Aufbau Taschenbuch, 2023. 431 Seiten, 14 Euro.
„Vom Leben und anderen Zumutungen“
Giovanni di Lorenzos Interviews mit prominenten Zeitgenossen sind immer wieder ein Ereignis. Wir erfahren, warum Daniel Cohn-Bendit kurz nach seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag erstmals seine jüdische Familiengeschichte erzählt. Staunen, dass Telekomchef Timotheus Höttges für das bedingungslose Grundeinkommen plädiert und Udo Jürgens sich nach umjubelten Konzerten manchmal wie ein Nichts fühlte. Nehmen Anteil an den Glaubenszweifeln von Papst Franziskus; spüren die Angst, die ein Despot wie Recep Erdoğan verbreitet. Durch die Intensität der Begegnungen entstehen spannungsreiche Portraits, die zugleich ein Spiegelbild der großen politischen und gesellschaftlichen Themen des vergangenen Jahrzehnts sind – Flüchtlingskrise, Pandemie, Krieg, Fremdenfeindlichkeit oder Cancel-Culture-Debatten.
Lesend tauchen wir ein in die Überzeugungen und Biografien von Menschen, die auf unterschiedliche Weise die Gegenwart geprägt haben. Giovanni di Lorenzo schafft dabei eine Atmosphäre seltener Nähe und Offenheit, scheut aber nie die Konfrontation. Und entlockt so auch ausgebufften Medienprofis Dinge, die sie vorher öffentlich nicht gesagt haben.
Giovanni di Lorenzo, geboren 1959 in Stockholm. Nach dem Studium in München Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Ab 1999 Chefredakteur beim Berliner Tagesspiegel, seit 2004 Chefredakteur der ZEIT. Seit 1989 Moderator bei „3nach9“ (Radio Bremen). Seit 2021 betreibt er mit Florian Illies den Kunst-Podcast „Augen zu“. Weitere Titel bei Kiepenheuer & Witsch: „Wofür stehst du“ mit Axel Hacke (2010); „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ (2011) und „Verstehen Sie das, Herr Schmidt?“ (2012), beide mit Helmut Schmidt, der Interviewband „Vom Aufstieg und anderen Niederlagen“ (2014) und „Erklär mir Italien“ mit Roberto Saviano (2017).
Giovanni di Lorenzo: „Vom Leben und anderen Zumutungen“
Kiepenheuer & Witsch, 2023. 352 Seiten, 25 Euro.