In ihrem neuen Roman „Zum Paradies“ erzählt Hanya Yanagihara von Liebenden, von Familie, vom Verlust und den trügerischen Versprechen gesellschaftlicher Utopien. Eine Ärztin im Hamburg der Kaiserzeit kämpft in Henrike Engels „Die Hafenärztin“ für die Rechte der Frauen. In Bernd Brunners „Buch der Nacht“ begegnen wir mystischen Nachtgestalten, Aberglaube und Bräuchen und begeben uns auf eine Entdeckungsreise, welche Geheimnisse die Nacht bis heute birgt.
„Zum Paradies“
1893, in einem Amerika, das anders ist, als wir es aus den Geschichtsbüchern kennen: New York gehört zu den Free States, in denen die Menschen so leben und so lieben, wie sie es möchten – so jedenfalls scheint es. Ein junger Mann, Spross einer der angesehensten und wohlhabendsten Familien, entzieht sich der Verlobung mit einem standesgemäßen Verehrer und folgt einem charmanten, mittellosen Musiklehrer.
1993, in einem Manhattan im Bann der AIDS-Epidemie: Ein junger Hawaiianer teilt sein Leben mit einem deutlich älteren, reichen Mann, doch er verschweigt ihm die Erschütterungen seiner Kindheit und das Schicksal seines Vaters.
2093, in einer von Seuchen zerrissenen, autoritär kontrollierten Welt: Die durch eine Medikation versehrte Enkelin eines mächtigen Wissenschaftlers versucht ohne ihn ihr Leben zu bewältigen – und herauszufinden, wohin ihr Ehemann regelmäßig an einem Abend in jeder Woche verschwindet.
Drei Teile, die sich zu einer aufwühlenden, einzigartigen Symphonie verbinden, deren Themen und Motive wiederkehren, nachhallen, einander vertiefen und verdeutlichen: Ein Town House am Washington Square. Krankheiten, Therapien und deren Kosten. Reichtum und Elend. Schwache und starke Menschen. Die gefährliche Selbstgerechtigkeit von Mächtigen und von Revolutionären. Die Sehnsucht nach dem irdischen Paradies – und die Erkenntnis, dass es nicht existiert. Und all das, was uns zu Menschen macht: Angst. Liebe. Scham. Bedürfnis. Einsamkeit.
Hanya Yanagihara wurde 1974 in Los Angeles geboren und wuchs unter anderem in Hawaii auf. Ihr zweiter Roman „Ein wenig Leben“ war für den Man Booker Prize und den National Book Award nominiert. Ihr erster Roman „Das Volk der Bäume“ wurde 2019 ins Deutsche übersetzt. Hanya Yanagihara lebt in New York.
Hanya Yanagihara: „Zum Paradies“
Übersetzt von Stephan Kleiner
Claassen Verlag, 2022. 896 Seiten, 30 Euro.
„Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen“
Hamburger Hafen, 1910: Anne Fitzpatrick ist voller Hoffnung. Als eine der ersten Ärztinnen Deutschlands hat sie gerade ein Frauenhaus eröffnet. Ihre Mission ist es, Frauen zu helfen, denen Leid zugefügt wurde. Als die couragierte Pastorentochter Helene bei ihr auftaucht und mitarbeiten will, unterstützt Anne die junge Frau in ihrem Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun.
Da werden neben dem Frauenhaus im Hafenbecken zwei Leichen entdeckt. Anne ist erschüttert. Die Opfer hatten Kontakt zur neuen Frauenbewegung, so wie Anne selbst auch. Die Polizei spielt den Vorfall jedoch als Mord im Milieu herunter. Aber warum ermittelt der wortkarge Kommissar Berthold Rheydt trotzdem weiter? Zusammen mit Helene sucht Anne nach Antworten und gerät dabei in immer größere Gefahr.
Henrike Engel pendelte in ihrem Leben ständig zwischen Berlin und München, mit beiden Städten verbindet sie eine komplizierte Liebesbeziehung. Eines aber ist konstant geblieben: ihre Liebe zu Hamburg. Manche Träume jedoch müssen unerfüllt bleiben, und so hat die ehemalige Drehbuchautorin nicht ihren Wohnort in die Hafenstadt verlegt, sondern träumt sich lieber schreibend dorthin.
Henrike Engel: „Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen“
Ullstein Verlag, 2022. 464 Seiten, 14,99 Euro.
„Das Buch der Nacht“
Mit dem Einbruch der Dunkelheit beginnt eine Zeit, in der sich die gewohnten Koordinaten unserer Wahrnehmung verschieben. Bernd Brunner streift durch die wundersamen Stunden zwischen Dämmerung und Morgengrauen und beleuchtet unser Verhältnis zur Nacht auf dem Grenzgebiet zwischen Geschichte, Mythologie, Biologie und Literatur.
Jahrtausendelang gab die Natur einen festen Rhythmus vor. Am Tag herrschte rege Geschäftigkeit – doch nach Sonnenuntergang sank alles in die Welt des Schlafs und der Träume. Nur nachtaktive Geschöpfe und leidenschaftliche Noctivaganten wie Goethe, der bei Mondschein schwimmen ging, genossen die Dunkelheit.
Aktivitäten der Nacht haftete stets etwas Subversives, Verbotenes, Aufregendes an. Doch mit der Erfindung künstlicher Beleuchtung kam der Nacht immer mehr ihr Mythos abhanden. Straßenlaternen machten die Nacht zum Tag. „Töten wir das Mondlicht“ war der Schlachtruf der Futuristen, deren Bewegung mit dem Aufkommen von legendenumwobenen Nachtclubs, Tanzpalästen und dem Berliner „Cabaret“ einherging.
Echte Finsternis finden wir heutzutage nur an entlegenen Orten oder paradoxerweise in künstlich geschaffenen Umgebungen, die den Tag zur Nacht machen: Nachttierhäuser oder Dunkelrestaurants, die sich großer Beliebtheit erfreuen.
Bernd Brunner, 1964 geboren, schreibt vielbeachtete, höchst unterhaltsame Bücher an der Schnittstelle von Kultur und Wissenschaftsgeschichte. Bei Galiani sind „Die Kunst des Liegens“ (2012), „Ornithomania“ (2015), „Als die Winter noch Winter waren“ (2016) und „Die Erfindung des Nordens“ (2019) erschienen. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Er lebt in Berlin und Istanbul.
Bernd Brunner: „Das Buch der Nacht“
Galiani Berlin Verlag, 2021. 192 Seiten, 28 Euro.